Während Spee sich in Köln aufhielt, wurde er zeitweise zum geistlichen Begleiter einer spirituellen Frauengemeinschaft bestimmt. Seine Konzepte und Vorbereitungen auf die Seelsorge bildeten die Materialgrundlage des Güldenen Tugend-Buchs – das in dieser Form erste umfangreiche Andachtsbuch für Frauen.

Bei dem Güldene Tugend-Buch handelt es sich um ein Meditations- oder Erbauungsbuch über die drei ‚göttlichen‘ Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe, welches aus geistlichen Ansprachen Spees in den Jahren 1627/28 in Köln hervorging. 1606 hatte dort die reiche Witwe Ida Schnabels die Devotessengemeinschaft St. Ursula gegründet, die sich eng an die jesuitische Spiritualität anlehnte und bis 1638/39 etwa 400 Mitglieder umfasste. Auch wenn die Gemeinschaft nie offiziell als weiblicher Zweig der Gesellschaft Jesu anerkannt wurde, lag ihre geistliche Betreuung in den Händen der Jesuiten. Friedrich Spee hielt gemeinsam mit den frommen Frauen wöchentlich geistliche Übungen über die drei Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe ab. Hierzu arbeitete Spee in Prosa geschriebene Besinnungstexte und sowie Gedichte und Gesänge aus, welche er vermutlich in den Jahren 1634/35 zu einem geschlossenen Werk, dem Güldenen Tugend-Buch, kompilierte.

Vom Originalmanuskript Spees haben sich zwei Abschriften erhalten. Eine dieser Kopien stammt aus dem Jahre 1640: Die in der Bibliothèque Nationale in Paris lagernde Handschrift (Sign. A 11.134 ) enthält eine Titelzeichnung, die ebenso wie jene der Trutz-Nachtigall auf Spee zurückgeht. Sie zeigt unter einer Arkadenkonstruktion Christus als Schmerzensmann auf einem Springbrunnen. Aus den Wundmalen seiner Hände und seiner Seite strömt lebendiges Wasser. Im Bildvordergrund verkörpern drei allegorische Frauengestalten die christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. Eine zweite Kopie des Güldenen Tugend-Buches entstand um 1641/43. Sie basiert auf einer von Spee korrigierten zweiten Textfassung und lieferte die Grundlage für die historisch-kritische Edition des Güldenen Tugend-Buches. Heute befindet sich diese Abschrift im Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf (Sign. B 128).

Das umfangreiche Werk wurde allerdings erst nach Spees Tod veröffentlicht: Es erschien 1649 im Verlag von Wilhem Friessem in Köln, welcher im gleichen Jahr die Trutz-Nachtigall herausgab. Da sich Spee mit seinen Äußerungen zum Gottvertrauen und der damit in Verbindung gebrachten Lehre von der Sündenvergebung allein auf Grund des Glaubens stark der protestantischen Position annäherte, ist anzunehmen, dass das Manuskript von Zensoren beanstandet wurde und nachträglich geglättet werden musste.

Die Wirkung des Güldenen Tugend-Buches blieb nicht nur auf die katholischen Zeitgenossen beschränkt: Unmittelbar nach der Herausgabe äußerte sich der lutherische Dichter Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658) sehr positiv in einer Rezension und brachte 1651 in einem Flugblatt eine Nachdichtung aus dem Güldenen Tugend-Buch heraus. Positive Reaktionen kamen auch von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und aus dem Bereich der deutschen Romantik; so veröffentlichte Clemens Brentano 1829 eine dem Zeitgeschmack angepasste Neuausgabe des Güldenen Tugend-Buches. Durch die konfessions- und epochenübergreifende Rezeption blieb Spees Werk bis weit in das 19. Jahrhundert hinein im Glaubensleben präsent.


siehe auch: Werksausgabe


Tugendbuch

Titelblatt des posthum erschienenen Güldenen Tugend-Buchs, Köln 1666. (Bildnachweis)